Biljana Garvanlieva - Nachruf im Tagesspiegel

Am 10. September 2016 verstarb die makedonische Filmemacherin und Regisseurin für Dokumentarfilme Biljana Garvanlieva, sie lebte in ihren letzten jahren in Berlin. Hier ein Nachruf von Daniela Rattunde.

Eine Wohnung in einer makedonischen Kleinstadt, draußen grauer Schneeregen, drinnen laufen die Nachrichten, Berichte über Arbeitslosenzahlen, Bilder von Protesten. Die 17-jährige Emilija schaut aus dem Fenster. Ihre Eltern haben vor dem Haus einen Tisch aufgebaut, um Süßigkeiten zu verkaufen. Schnitt. Der Vater schält Kartoffeln, die kleine Schwester macht Hausaufgaben und im Flur vor der Tür zum Badezimmer übt Emilija konzentriert auf ihrem Akkordeon. Es fehlt der Platz, vor allem aber fehlt das Geld. Drei wichtige Tasten ihres Instruments sind kaputt; ein neues kostet 6000 Euro. Unerschwinglich. Emilija hat mit 14 den nationalen Akkordeonwettbewerb gewonnen, sie will professionelle Musikerin werden. Schnitt. Die Mutter hält eine Plastiktüte voll Münzen in die Kamera: Ihre Einnahmen der vergangenen zwei Wochen. Vielleicht klappt es doch noch, das Geld fürs neue Akkordeon zusammenzubekommen.

Der Dokumentarfilm über ihre talentierte Cousine Emilija war Biljana Garvanlievas erster. Sie hat damit den Deutschen Kurzfilmpreis gewonnen.

Wie Emilija ist sie in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Der Vater Stahlarbeiter, die Mutter im Büro tätig, das Geld war immer knapp. Dass sie kein eigenes Fahrrad hatte, lag aber nicht am Geld, sondern an der Sorge der Eltern, die ein Fahrrad zu gefährlich fanden.

Mit einem Stipendium kam sie 1999 nach Berlin, um dort ihr Studium zu beenden und als Dramaturgin am Theater zu arbeiten. Dass sie Dokumentarfilmerin wurde, hat viel mit Manuel Zimmer zu tun. Der Filmstudent war ihr geliebter Gegenpol: antiautoritär erzogen, aufgewachsen mit Geschwistern und Halbgeschwistern, erfahren im West-Berliner Underground und der Ost-Berliner Hausbesetzerszene. Ein Lebenskünstler.

Als sie sich kennenlernten, arbeitete er an einem Film über Serbien. Zusammen mit anderen riefen sie das „Balkan Black Box Festival“ ins Leben, zu einer Zeit, als Balkan Beats noch nicht zum Mainstream gehörten. Biljana lud Künstler aus Makedonien ein und brachte Serben, Kroaten, Kosovo-Albaner, die sich in ihrer Heimat nicht angeschaut hätten, miteinander ins Gespräch.

„Und was sind deine Themen?“, so fragte ihr angehender Schwiegervater, Professor, Alt-68er, der die Menschen sehr schnell danach beurteilte, was sie machten. Ihre Antwort: „Die Liebe und der Tod.“

Ehrgeizig und ausdauernd war Biljana. Um alles rang sie wie besessen, ob das ihre Filme waren oder die Geburtstagsfeiern ihrer Kinder. Entsprechend hoch waren ihre Ansprüche an andere. Sie hatte nur Einsen in der Schule gehabt, wie konnte es sein, dass ihr Kind mit einer Drei nach Hause kam?

Milan war 2005 zur Welt gekommen. Das erste Lied, das sie ihm vorsang, war „Oj Devojce“, ein altes Volkslied, das sie durch ihre Kindheit begleitet hatte. Als Milan drei Monate alt war, ging es zu den Dreharbeiten für „Die Akkordeonspielerin“ nach Makedonien. Die Großmutter passte auf das Baby auf, während die Eltern arbeiteten. Alle paar Stunden kam Biljana nach nebenan zum Stillen. Beim Dreh für ihren zweiten Film gab es dann schon das zweite Kind.

Für makedonische Frauen scheint es in Filmen und Büchern nur drei Rollen zu geben: Opfer, Hausfrau, Prostituierte. Biljanas Filme zeigen die Frauen ihrer Heimat dagegen als Heldinnen. Die 14-jährige Mümine etwa, die Biljana in „Tabakmädchen“ porträtiert. Das Mädchen in der bunt geblümten Tracht lebt mit seiner Familie in den kargen Bergen, wo nichts wächst außer Tabak. Mümine will aufs Gymnasium, doch ihre Eltern wollen sie verheiraten. 3000 Euro gibt es für ein Mädchen. Das ist Tradition bei den Yörüken, einer türkischen Minderheit. „Wenn du fliehst, wirst du verstoßen. Für immer“, droht ihre Mutter.

Die Arbeiten zu ihrem Film „Polly on the Rocks“ waren schwierig. Auch gesundheitlich schien Biljana nicht auf der Höhe. Als alles im Kasten war, ging sie zum Arzt.

Der Kampf gegen den Krebs bestimmte ihre letzten Jahre. Sie arbeitete weiter, so gut es ging. Als die Ärzte zu ihrem Mann sagten, Biljana solle jetzt nichts mehr aufschieben, befreiten sie die Kinder von der Schule und reisten noch ein letztes Mal zu ihrer Familie nach Skopje. Danach noch ein Sommerurlaub am Bodensee, die Hochzeit ihres Schwagers. Es gibt ein Video, da sieht man sie, wie sie ihren Kindern noch einmal ihr Lied vorsingt, „Oj Devojce“.

Dass es in der Familie ihres Mannes schwere Zerwürfnisse gab, konnte Biljana nie verstehen. „Familie ist Familie!“ Sie schrieb Geburtstagskarten an alle. Bei ihrer Beerdigung saßen sie an einem Tisch, alle beieinander, und redeten.