Mazedoniens Außenminister im Interview mit Der Standard


Nikola Poposki hofft, dass die Flüchtlinge bald von der mazedonisch-griechischen Grenze weggebracht werden 

STANDARD: Es könnte sein, dass der EU-Türkei-Deal platzt. Was würde das für Mazedonien und die Grenzsicherung zu Griechenland bedeuten? 
Poposki: Wir haben zurzeit 25.000 Migranten an der Grenze, also etwa die Hälfte der Flüchtlinge, die in Griechenland sind. Die griechischen Behörden versuchen, die Flüchtlinge dort wegzubringen, aber Aktivisten überreden sie, dort zu bleiben, und machen ihnen falsche Hoffnungen, dass sie die Grenze überqueren können. Es kommen aber insgesamt viel weniger Flüchtlinge, nicht nur weil die Türkei sie abhält, sondern weil wir die Grenze geschlossen haben, und das war für viele ein Signal, gar nicht mehr nach Europa aufzubrechen. Ich glaube aber insgesamt nicht, dass sich die Flüchtlingspolitik der Türkei ändern wird. 

STANDARD: Was ist, wenn die Türkei wieder mehr Flüchtlinge nach Griechenland lässt? 
Poposki: Das kann passieren, aber nicht mehr, dass es so massive illegale Grenzübertritte von Griechenland bis nach Deutschland geben wird. Das ist beendet. 

STANDARD: Funktionieren die Rückführungen der Flüchtlinge nach Griechenland? 
Poposki: Es gibt bürokratische Hindernisse. Aber die Kooperation mit Griechenland hat sich die ganze Zeit verbessert. Wir haben auf einem sehr geringen Niveau begonnen, und jetzt kommunizieren und kooperieren die Beamten auf beiden Seiten ziemlich einfach miteinander. Es gibt aber noch Platz für Verbesserungen. 

STANDARD: Für welche? Poposki: Es wäre wichtig, wenn die Leute in Griechenland möglichst bald von der Grenze in Aufnahmezentren gebracht würden. Es gibt viele, die unter freiem Himmel sind, und das verschlechtert ihre humanitäre Situation. Weiters animiert das Leute dazu, gewalttätig zu werden. Es gab ein paar, die versuchten, die Polizei mit Steinen zu bewerfen. Und die Situation ermutigt auch Schmuggler. 

STANDARD: Wie viele Leute, die versuchen, über die Grenze zu kommen, werden von den mazedonischen Behörden festgenommen? 
Poposki: Es gibt täglich 150 bis 300 Versuche von Leuten, die Grenze zu überqueren. Manchmal kommt eine Gruppe von zehn Leuten, die den Zaun durchschneiden. Mehr als die Hälfte dieser Versuche werden unterbunden. Aber man kann nicht sagen, dass es keiner schafft. Es ist keine hermetisch geschlossene Grenze. 

STANDARD: Schickt Serbien Flüchtlinge nach Mazedonien zurück? 
Poposki: Tatsächlich sind es sehr wenige, die es nach Serbien schaffen. Aber es gibt sogar heute noch Leute, die es nach Deutschland oder Schweden schaffen. Manche, die jetzt in Serbien sind, kommen aus Bulgarien. Einige wurden bereits zuvor zurückgeschickt. Die versuchen wieder, sich durchzuschmuggeln. Seit Beginn des Jahren wurden in Mazedonien bereits 20 Schmugglergruppen angeklagt. Dennoch sollten wir nicht naiv sein und glauben, dass wir alle gefasst haben. Es ist ein täglicher Kampf der Strafverfolgungsbehörden gegen jene, die Geld machen wollen. 

STANDARD: Apropos Geld. Wie viel kostet Mazedonien der Grenzschutz? 
Poposki: Wir haben mindestens 30 bis 40 Millionen Euro für das Management der Migrationskrise ausgegeben. Wir brauchten Extratruppen, Extraausrüstung, wir haben Überstunden- und Transportkosten. In den letzten zwei Monaten haben wir ein europäisches Projekt durchgeführt, das es uns ermöglicht, zumindest einen Teil der Kosten für mazedonische Beamte oder EU-Beamte abzudecken. Es handelt sich aber nicht um Frontex, sondern um bilaterale Abkommen mit Slowenien, Österreich, Ungarn, Tschechien, Kroatien. 

STANDARD: Wie viel bekommt Mazedonien über dieses Projekt? 
Poposki: Zehn Millionen Euro, eineinhalb Millionen sind für die mazedonischen Beamten, drei Millionen sind für die EU-Staaten, der Rest ist für Ausrüstung. 

STANDARD: Ist die Schließung der Balkanroute auch mit politischen Kosten verbunden? 
Poposki: Ja, das Ganze hat uns etwa in unseren Beziehungen zu Griechenland traumatisiert. Griechenland blockiert zwar seit Jahren unseren Beitritt zur Nato und zur EU, aber unser Ziel ist es, die Beziehungen zu entspannen. Als wir begonnen haben, die Entscheidungen des EU-Rats umzusetzen, wurde das in Griechenland so wahrgenommen, als würden wir ihnen das Leben schwermachen. Aber das war nicht unsere Absicht. Jetzt hat Griechenland eingesehen, dass wir dem Land einen Gefallen tun, indem wir illegale Migration verhindern. Letztendlich wird durch die Migrationskrise ja auch die Wirtschaft behindert. Etwa die Hälfte unserer Importe und Exporte gehen über den Hafen in Thessaloniki, und wenn wir die Unterbrechungen auf der Autobahn und der Eisenbahnroute zusammenrechnen, dann ist das dramatisch. 

STANDARD: Trotz dieser Blockaden war es besser, die Grenze für Flüchtlinge zu schließen? 
Poposki: Für uns war die Wahl einfach: Entweder wir helfen den EU-Staaten, das umzusetzen, oder wir schauen einfach zu und machen zwei große Plakate: "München: 1.500 Kilometer! Stockholm: 2.100 Kilometer! Und da geht's weiter!" Aber wenn man ein glaubwürdiger Partner sein und EU-Mitglied werden will, dann sollte man Teil der Lösung sein. 

STANDARD: Bekommen Sie irgendetwas dafür? 
Poposki: Bis jetzt nicht wirklich. Aber wir sind daran gewöhnt. 

STANDARD: Gibt es nun eine Chance, den Namensstreit mit Griechenland zu beenden? 
Poposki: Ich würde nicht sagen, dass Griechenland in der besten Lage ist, um sich auf diese Sache zu fokussieren. 

STANDARD: Fühlen Sie sich von der EU und den USA in dieser Sache unterstützt? 
Poposki: Die EU insistiert nicht, wie in allen anderen Erweiterungsprozessen, dass bilaterale Themen in EU-Beitrittsverhandlungen gelöst werden müssen. Alle EU-Mitgliedstaaten sollten sich darauf einigen, dass wir Verhandlungen beginnen. Das wäre ein positiver Stimulus für beide Seiten. Aber jetzt werden wir draußen gelassen, und es gibt keine Hoffnung. Wenn man in dieser Situation dazu aufruft, eine akzeptable Lösung für alle Seiten zu finden, dann ist das so, als würde man zwei Wölfe und ein Lamm in einen Raum sperren und ihnen sagen: Wir ermutigen euch, einen wechselseitig akzeptablen Vorschlag für ein Abendessen zu finden. 

STANDARD: Denken Sie, dass die innenpolitische Krise hier in Mazedonien damit zu tun hat, dass sich das Land in einem geopolitischen Schwebezustand befindet? 
Poposki: Je länger Mazedonien aus der EU draußen gelassen wird, desto größer sind die Chancen, dass man hier Chaos anrichtet. Auf dem Balkan gibt es Gruppen, die haben nichts anderes getan, als Kriege geführt, und viele von denen haben einen kriminellen Hintergrund und nutzen politische Agenden aus. 

STANDARD: Wie wichtig ist Russland für Mazedonien? 
Poposki: Über 90 Prozent unserer Investitionen, des Imports oder Exports sind aus der und in die EU oder EU-Kandidatenstaaten. Russland ist für alle in Europa wichtig, aber wenn man den Anteil von Russlands Handel nimmt, ist der hier viel geringer. Wir haben immer gesagt, dass wir der Nato und der EU beitreten wollen. 

STANDARD: Ursprünglich sollten die Wahlen am 5. Juni stattfinden. Aber jetzt will nur mehr Ihre Partei, die VMRO-DPMNE, dieses Datum. 
Poposki: Die Sozialdemokraten (SDSM) haben die vorgezogenen Wahlen gefordert. Paradoxerweise will nun die Regierung Wahlen. Die Umfragen für die Opposition sind nicht sehr günstig. Sie will nur Wahlen, wenn sie das Gefühl hat, dass sie die Unterstützung der Mehrheit besitzt. Aber warum sollten wir die SDSM zu etwas zwingen, worum sie selbst gebeten hat? 

STANDARD: Die Lage hat auch mit der Amnestie von Präsident Gjorge Ivanov zu tun, die alles durcheinandergebracht hat. 
Poposki: Der Präsident hatte das Gefühl, dass er etwas tun muss, aber die Amnestie hatte negative Konsequenzen, besonders auf der internationalen Ebene. Er hatte offensichtlich eine gute Absicht. Doch der Weg zur Hölle ist oft mit guten Absichten gepflastert. 

Zur Person: Nikola Poposki (38) hat Wirtschaft studiert, unter anderem in Brüssel, und ist Mitglied der nationalkonservativen VMRO-DPMNE. Seit 2011 ist Poposki Außenminister von Mazedonien.